U Beresina 2006

Es war der 14. Januar 2006, ein ruhiger Samstag Morgen. Seit Wochen herrschte eine eisig beissende Kälte über Europa. Doch die Ruhe war trügerisch. Seit Jahresbeginn gab es immer wieder Unruhen. Während einem lange anhaltenden Streit um den Preis des Erdgases kürzte der grösste Lieferant seine Gaslieferungen nach Westen. Ausserdem näherte sich von Osten unaufhaltsam die Vogelgrippe. Die Bevölkerung wurde zunehmend unruhiger und forderte die Regierung zum Handeln auf, wodurch die Regierung langsam geschwächt wurde. Weitere Kommunikationspannen liessen das Vertrauen in die Regierung dahinschwinden. Guerillaorganisationen nutzten diese Gelegenheit, um ihre Ansprüche auf die fruchtbaren Gebiete in der Bodenseeregion geltend zu machen. Mit ihren immer häufiger werdenden Anschlägen auf die Infrastruktur brachten sie die Regierung zur Verzweiflung.

Obschon der Geheimdienst ein Problem mit der Geheimhaltung von vertraulichen Dokumenten hatte, funktionierte er vorzüglich. So konnte er Informationen über einen geplanten Anschlag auf eine für Kriegszwecke wichtige Eisenbahnbrücke, welche bei Hemishofen über den Rhein führt, ausmachen. Die Entsendung von militärischen Einheiten zur Vereitelung des geplanten Anschlages, erschien der Regierung ungeschickt. Deswegen wurde erneut auf eine mit militärischen Mitteln unterstützte, zivil agierende Einheit zurück gegriffen. Diese Einheit hatte sich schon in der Vergangenheit bei diversen Einsätzen bewährt. Doch an dieser Stelle lassen wir doch besser ein Mitglied dieser Spezialtruppe erzählen:

Am besagten Morgen trafen wir uns in aller Herrgottsfrühe beim Parkplatz bei der Petriwiese. Als wir dorthin unterwegs waren, begegneten wir einigen Gestalten, die erst auf dem Heimweg vom Hilari waren. Auch wenn diese Gestalten mitten auf der Strasse unterwegs waren und unseren Weg kreuzten, erkannten sie unsere Mission wohl kaum. Dazu hatten sie wahrscheinlich zu viele alkoholhaltige Getränke konsumiert. Mit der obligatorischen Verspätung trafen dann auch noch die letzten Mitglieder beim Treffpunkt ein. Nachdem wir alles Material in ein grösseres Fahrzeug umgeladen hatten, verschoben wir mit demselben zum Ausgangspunkt unserer Mission, nahe beim südlichen Brückenpfeiler der Eisenbahnbrücke bei Hemishofen. Dort angelangt gab es zunächst eine Befehlsausgabe. Eine Gruppe, der auch ich angehörte, hatte den Auftrag, den geplanten Anschlag zu vereiteln. Eine andere Gruppe sollte ein kleines Floss erstellen, das später noch benötigt werden sollte. So stellten wir gemeinsam das Material bereit und rüsteten uns für den anstehenden Einsatz aus. Zur Stärkung hatten wir in einem speziellen Behälter heissen Tee mitgeführt.

Während die andere Gruppe eifrig das Floss aus den mitgebrachten Balken zimmerte, machten wir uns zur Eisenbahnbrücke auf. Leise näherten wir uns dem südlichen Brückenkopf. Eben wollten wir den Gehsteig, der unter den Gleisen der Eisenbahn liegt, betreten. Plötzlich hörten wir eine heftige Explosion. Im schwachen Morgenlicht erkannten wir nur noch fünf Männer, die eiligst über die Brücke nach Norden flüchteten. Glücklicherweise schien die Brücke noch intakt zu sein. Wir hatten also diese Attentäter gerade bei der Vorbereitung eines Anschlages überrascht. So machten wir uns an, die Ursache der Explosion und die Schäden an der Brücke zu untersuchen. Als wir uns dem mittleren Pfeiler näherten sahen wir, dass ein Teil des Gehsteiges fehlte. Er musste hier durch die Explosion zerstört worden sein. Glücklicherweise waren keine tragenden Elemente beeinträchtigt worden. Als wir die Brücke genauer betrachteten, stellten wir fest, dass ein schwarzes Gummiboot am mittleren Brückenpfeiler befestigt war. Die Attentäter mussten also über das Wasser zur Brücke gelangt sein und haben dann die Sprengung der Brücke vorbereiten wollen. Dann war entweder irgendetwas bei den Arbeiten schief gelaufen, wodurch es zur Explosion kam, oder wir hatten die Attentäter überrascht, worauf sie in aller Eile noch eine Notsprengung durchführen wollten.

Weil durch die Explosion ebenfalls Teile der Leiter entlang des Brückenpfeilers beschädigt worden sind, mussten wir uns von der Brücke abseilen, um das Gummiboot zu bergen. Danach ruderten wir mit dem Gummiboot zum linken Rheinufer, wo die andere Gruppe mittlerweile das Floss fertiggestellt hatte. Dort angekommen bereiteten wir uns gemeinsam für den zweiten Auftrag vor. Unsere Aufgabe war es, auf einem Floss Cervelats zu bräteln! Dazu wurde ein Feuer auf dem Floss entfacht, worauf es zu Wasser gelassen wurde.

Nachdem wir alles nötige Material im Gummiboot verstaut hatten, legten wir ab. Der Rhein bot uns ein ungewohntes Bild. Durch die lange anhaltende Trockenheit schrumpfte er zu einem Rinnsal. Riesige Sandbänke machten sich in seinem Flussbett breit. Das aus Holzkohle entfachte Feuer auf dem Floss brannte hervorragend. Bald hatten sich die gewünschten heissen Gluten gebildet und die Cervelats, welche zwischen zwei Grillschalen aus Aluminium eingepackt waren, konnten gebraten werden. Doch kaum war die wertvolle Verpflegung auf dem Feuer, näherten wir uns den Untiefen bei der Bibermühle. „Steine, wir laufen auf Grund!" rief jemand. Mit einigen Ruderschlägen konnten wir das Schlimmste gerade noch verhindern. Doch unter den Füssen spürten wir schon, wie das Gummiboot einzelne grössere Steine streifte.

Als wir wieder in tieferes Wasser gelangten, beruhigte sich die Lage wieder. Völlig unerwartet tauchte dann aber ein kleines Fischerboot auf, welches die Ruhe empfindlich störte. „Achtung, die Welle! Passt auf die Cervelats auf!" hiess es schon vom anderen Ende des Gummiboots. Doch die Aufregung war umsonst, denn unser Floss meisterte diese kleinen Wellen ohne Probleme. Durch die kleine Schaukelbewegung löschte das Rheinwasser etwas die trockenen Holzbretter, welche mittlerweile zu brennen angefangen hatten. Das Feuer brannte aber weiterhin wie gewünscht. Als die Aufregung vorbei war, machten wir uns an, die schon fein duftenden Cervelats zu essen. Die heissen Cervelats waren weggegessen, bevor man überhaupt richtig hin schaute.

Während wir auf dem Rhein langsam Diessenhofen entgegen trieben, kam immer wieder die Diskussion auf, was jetzt hinten und was vorne in diesem Boot sei. Diese Frage wird wohl nie restlos zu klären sein, sind doch beide Enden des Gummiboots identisch. Erschwerend kam jedoch hinzu, dass wir das Floss eigentlich hinten befestigt hatten, es aber wie ein Treibanker wirkte und dadurch immer wieder vorne war.

Plötzlich erspähten wir dann am Ufer einige Leute, die ebenfalls ein Feuer entfacht hatten. Als diese Leute uns sahen, waren sie zunächst sehr erstaunt. Als wir ihnen zuriefen, dass wir auch schon Cervelats gebraten hatten, blieb ihnen die Spucke weg und sie verstanden die Welt nicht mehr. Ja, so kann es einem geschehen, wenn man mitten im Januar auf dem Rhein Gummiboot fahren geht.

Völlig durchgefroren näherten wir uns Diessenhofen, wo wir an Land gingen. Unter der Holzbrücke kam das traditionelle, wie auch legendäre "Ruder hoch!" und zum Schluss das "Erika aus!"